Reden im Europarat zum Bericht “The situation in Iran and the protection of Iranian human rights defenders in Council of Europe member States”

Veröffentlicht am 02. Oktober 2024

Ich habe vor anderthalb Jahren einen Entschließungsantrag in die Parlamentarische Versammlung des Europarats in Straßburg eingebracht. Dieser Antrag wurde federführend im Ausschuss für politische Angelegenheiten und Demokratie behandelt und am 1. Oktober 2024 als Resolution zusammen mit meinem Bericht “The situation in Iran and the protection of Iranian human rights defenders in Council of Europe member States” einstimmig im Plenum verabschiedet.

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Meine Rede zur Einbringung des Berichts in den Europarat:

Vielen Dank, sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kollegen,

im September 2022, vor zwei Jahren, möchte eine junge Frau ihr Studium beginnen im Iran. Jina MAHSA AMINI hat endlich einen Studienplatz gefunden. Sie reist aus ihrer kurdischen Heimatstadt Saqqez nach Teheran, um dort in dieser Stadt ihre Zukunft vorzubereiten. Doch sie macht einen vermeintlichen Fehler. In der U-Bahn trägt sie das Kopftuch nicht so, wie sich das Regime das wünscht. Daraufhin wird sie von der Sittenpolizei festgenommen, misshandelt, geschlagen und stirbt schließlich an den Folgen dieser Gewalt.

Eine junge Frau wird getötet, weil sie ihr Kopftuch nicht so trägt, wie sich das andere wünschen. Diese vermeintliche Stärke des Regimes verkehrt sich sehr schnell zu einer Schwäche. Die Mehrheit der Menschen im Iran lehnt sich seit diesem Zeitpunkt mehr denn je gegen dieses Regime auf. Am 22. September 2022, nur sechs Tage nach Jina MAHSA AMINIs Tod, erlebt der Iran eine ungekannte Protestwelle. Alle Städte, alle Regionen, alle Ethnien; sie alle vereinen sich hinter den Worten „Jin, Jiyan, Azadi“: Frauen, Leben, Freiheit. Und sie machen diese Worte zum Ruf nach Gerechtigkeit für Jina. Aber sie machen die Frage der Menschenrechte von Frauen auch zur Alternative zu den Mullahs, zur Scharia und zur Polizeigewalt.

Seit dem September 2022 protestieren die Menschen im Iran, ob religiös oder nicht, für eine echte demokratische Alternative zu ihrem Regime. Sie entfalten eine ungekannte Stärke. Doch diese Stärke hat auch das Regime erkannt – und es hat sehr brutal zurückgeschlagen. Über 500 Menschen wurden getötet, Tausende verletzt, jungen Menschen wurde ins Auge geschossen. Das ist nichts anderes als ein Krieg gegen die eigene Bevölkerung.

Wir dürfen nicht wegsehen, denn es geschieht vor unseren Augen. Und wir müssen nach diesen zwei Jahren ehrlich eingestehen: Als es auf unsere europäischen Staaten am meisten ankam, haben wir nicht all das gemacht, was nötig gewesen wäre, um an der Seite dieser Menschen zu stehen. Und ich frage mich mit sehr großer Nachdenklichkeit: Was ist eigentlich unsere Freiheit, was ist eigentlich meine Freiheit wert, wenn sich die Vertreter der Europäischen Union beispielsweise lieber entscheiden, den Vertretern der Mullahs die Hände zu schütteln, als denen die Hand zu reichen, die die gleichen Werte haben wollen, die wir hier haben?

Wir dürfen nicht wegsehen, denn Freiheit ist nicht einfach europäisch oder persisch, sondern universell. Und wer denkt, dass dieses Regime nur ein Problem für den Iran ist, irrt sich gewaltig. Wenn wir an den Brandanschlag auf die Synagoge in Bochum in Deutschland denken, wenn wir an Anschläge in Europa denken wie in Frankreich, wenn wir an die Entführung und die Ermordung iranischer Oppositioneller mitten in Europa denken, dann sehen wir, dass dieses Regime eine Gefahr für uns ist und dass es sogar Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aus unseren Mitgliedsstaaten, wie aus Schweden, Frankreich oder Deutschland, die Kölnerin Nahid TAGHAVI, als Geiseln gefangen hält.

Wir müssen endlich verstehen, dass ein normaler Umgang mit diesem Regime am Ende mit unserer aller Sicherheit bezahlt wird. Und deswegen ist es Zeit, unsere Iranpolitik grundlegend zu ändern. Wir brauchen die Listung der Revolutionsgarden als Terrororganisation, wir brauchen ein abgestimmtes Vorgehen in Europa zur Befreiung unserer Staatsbürger, die als Geiseln gehalten werden. Und wir müssen gemeinsam entschlossen gegen dieses Regime handeln.

Meine Damen und Herren, wenn wir die aktuellen Nachrichten aus den letzten Stunden verfolgen, dann sehen wir eine neue Dimension der Eskalation in der Region. Wir sehen Raketenangriffe des iranischen Regimes auf Israel. Und dieser Bericht ist nicht der richtige Ort, um alle geopolitischen Folgen und Fragen dazu einzuordnen. Aber dieser Bericht ist der richtige Ort, um eine Sache klarzumachen: Dieser Krieg ist nicht der Krieg der Menschen im Iran. Denken Sie mal an die jungen Menschen im Iran, denen Israelflaggen vor die Füße gelegt werden – vor die Tür, vor der Universität – gelegt werden, damit sie drauf treten, aber die drumherum gehen, weil sie, anders als ihr Regime, keinen Krieg wollen.

Die Menschen im Iran wollen keinen Krieg im Nahen und Mittleren Osten. Sie wollen auch keine Finanzierung der Terrororganisation. Sie wollen auch keine Unterstützung des Krieges, den der Kreml gegen die Ukraine führt. Aber sie wollen auch keinen Krieg, den dieses Regime gegen die eigene Bevölkerung führt.

Ich hatte das Glück, in unserem Europa in Freiheit aufzuwachsen. Junge Menschen im Iran haben das nicht. So wie Sepideh QOLIAN, für die ich eine Patenschaft übernommen habe. Sie ist kürzlich im Gefängnis von Evin dreißig geworden. Und während ich hier als Teil dieser Versammlung zu Ihnen spreche, sitzt diese junge Frau hinter Gittern. Und deshalb appelliere ich an Sie, liebe Kollegen, werden auch Sie aktiv. Übernehmen Sie Patenschaften für verfolgte Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger im Iran, für ihre Freiheit und für unsere Sicherheit.

Der Name Jina steht für das Leben. Zwei Jahre nach dem Tod von Jina MAHSA AMINI ist ihr Name und ihr Vermächtnis nicht vergessen. Ihr Name steht für ein Leben, das eines Tages im Iran frei sein wird. Und ich denke, es ist wichtig, dass wir in Europa uns deshalb daran machen, stärker als bisher uns für die Menschenrechtslage im Iran einzusetzen und für eine andere Iran-Politik aus Europa heraus. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich freue mich auf die Diskussion.

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Meine abschließende Rede zur Zusammenfassung der Debatte

Dankeschön, Herr Präsident, liebe Kollegen,

ich will mich besonders für die vielen konkreten Anmerkungen und Hinweise bedanken, wie zum Beispiel zum Dialogprozess in Wien. Ich glaube, es ist extrem wichtig, dass wir gerade bei unserer Iran-Politik mehr ins Handeln kommen als Europa. Und da möchte ich gerne nochmal eine Sache aufgreifen.

Wir haben hier alle sehr gut die Lage analysiert. Wir sind uns einig; die Menschen im Iran verdienen unsere Unterstützung gegen dieses Regime. Wir wissen, dieses Regime ist eine Gefahr für uns. Wir wissen, dieses Regime ist ein Problem für den Nahen und Mittleren Osten, weil es die strategische Destabilisierung in der Region braucht.

Und trotzdem haben es unsere Regierungen nicht geschafft, nach zwei Jahren mutigster Protestwelle im Iran die Revolutionsgarden als Terrororganisation zu listen. Jene Revolutionsgarden, die vor zwei Jahren mitverantwortet haben, dass jungen Menschen in die Augen geschossen wurde. Jene Revolutionsgarden, die mitverantwortet haben, dass es vor zwei Jahren auf die Synagoge in meinem Wahlkreis in Deutschland einen Anschlag gab. Jene Revolutionsgarden, die heute Abend maßgeblich dafür verantwortlich sind, dass Raketen auf Israel gefeuert werden. Das haben unsere Regierungen in Europa noch nicht geschafft. Und ich glaube, das sind Räume, wo es gerade auf uns als Parlamentarische Versammlung ankommt, das voranzubringen, und dafür zu kämpfen, dass das endlich kommt, damit dort eine andere Politik gemacht werden kann.

Wir haben so viele Stellen, an denen wir nicht nur analysieren müssen, sondern an denen wir arbeiten müssen. Und das ist hier auch angesprochen worden: Mit der Frage eines wirksamen Dokumentationsmechanismus für Menschenrechtsverletzungen; mit der Frage, wie wir die unterschiedlichen Menschen aus der iranischen Diaspora in Europa auch zusammenbringen und dafür sorgen, dass sie miteinander darüber reden können, wie ihre Zukunft aussehen soll; und natürlich mit der Frage, wie wir dieser Destabilisierung in der Region etwas entgegensetzen.

Wir haben in unserer iranstimmigen Diaspora in unseren Mitgliedsstaaten Menschen, die uns nicht erst seit gestern, und auch nicht erst seit 2022 – sondern seit Jahren vor dem gewarnt haben, was wir heute Abend und heute Nacht erleben.

Ich glaube, dass es eine Lehre daraus für uns gibt: Die iranstämmige Diaspora in Europa braucht nicht nur unseren Schutz – wir müssen sie auch ernst nehmen, wir müssen sie auch einbinden. Und ich freue mich sehr, dass es hier dafür eine breite Unterstützung gibt.

Vielen Dank.

Mein Weg zur Resolution:

  1. Motion for a resolution “The situation in Iran” (24.01.2023)

2. Report “The situation in Iran and the protection of Iranian human rights defenders in Council of Europe member States” (11.09.2024)

3. Verabschiedung durch den Europarat als Resolution “The situation in Iran and the protection of Iranian human rights
defenders in Council of Europe member States” (01.10.2024)

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