Rede zum Jahresabrüstungsbericht 2022

Veröffentlicht am 14. Juni 2023

Der Bundestag beriet am Mittwoch, 14. Juni 2023, den Jahresabrüstungsbericht 2022 sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale der Bundesregierung (20/6600). Nach 40-minütiger Debatte wurde die Unterrichtung an die Ausschüsse überwiesen. Bei den Beratungen wird der Auswärtige Ausschuss die Federführung übernehmen.

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Gerne kannst/können Du/Sie die Rede mitlesen:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um über Abrüstung zu reden, wenn gerade ein Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine in Europa tobt, wenn wir jeden Tag vor neuen politischen Herausforderungen stehen, wenn unser Leben und erst recht das Leben der Menschen in der Ukraine erschüttert wird?

Putins Verbrechen ist zuallererst ein Angriffskrieg gegen die Ukraine; aber Putins Verbrechen ist auch ein systematischer Angriff auf all die Pfeiler unserer internationalen Ordnung. Mit der Aufkündigung des New-START-Vertrags, mit der Stationierung von Atomwaffen in Belarus, mit nuklearen Drohungen greift der Kreml alles an, was historisch geschaffen wurde, um die Menschheitsgefahr der Atomwaffe einzuhegen. Putins Aufkündigung von Abrüstung ist eine Bedrohung, und der setzen wir entgegen: Jetzt erst recht ist der richtige Zeitpunkt, um über Abrüstung zu sprechen, aber vor allem, um sie umzusetzen und wirksam zu machen.

Lassen Sie mich auf drei Punkte eingehen, wo die Bundesregierung schon viel tut, aber wo wir noch mehr von ihr erwarten.

Erstens. Deutschland übernahm im vergangenen November die Präsidentschaft der Ottawa-Konvention und setzt sich seither an der Spitze der Mitgliedstaaten für die globale Ächtung von Antipersonenminen ein. Ferner unterstützt Deutschland bei der Räumung solcher Minen und trägt somit ganz praktisch zur Abrüstung bei. Aber es gibt noch viel zu tun. Viele NATO-Mitglieder sind wenig engagiert im Einsatz gegen Minen und Streubomben. Wir müssen die Zögernden ermuntern, sich weiter zu engagieren. Wir brauchen eine Einigung auf Best Practices und genügend Finanzmittel für die Räumungen. Es braucht mehr Einsatz gegen improvisierte Minen, die durch Söldner eingesetzt werden. Hier kann die Bundesregierung auf ihren guten Ergebnissen aus 2022 aufbauen.

Zweitens. Deutschland engagiert sich weiterhin in der Regulierung autonomer Waffensysteme, auch wenn die Verhandlungen gerade erschwert sind. Hier zeigt sich, wie mühsam und doch notwendig Verhandlungen über Abrüstung sind. Autonome Waffensysteme sind eine der drängendsten Herausforderungen für die Menschenrechte im 21. Jahrhundert. Deutschland muss den Mut aufbringen, um endlich Fortschritte bei der internationalen Kontrolle autonomer Waffensysteme zu erzielen. Wenn bisherige Formate keinen Fortschritt bringen, müssen wir neue Dialogforen schaffen – beispielsweise bei der Ottawa-Konvention –, um voranzukommen. Es geht um nichts weniger als um unsere kollektive Sicherheit. Wir brauchen mehr Engagement, um zu verhindern, dass Algorithmen die Entscheidung über Leben und Tod treffen.

Das müssen wir stoppen, und dafür muss sich Deutschland entschiedener engagieren.

Drittens. Die Bundesregierung nahm als Beobachterin bei der Konferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag teil. Auch meine Kollegin Merle Spellerberg, die sich im Rahmen ihrer parlamentarischen Arbeit für atomare Abrüstung einsetzt, hat daran teilgenommen. Deutschland zeigt so, dass der Atomwaffenverbotsvertrag auch ein Impuls für Abrüstung im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrages ist. Das ist ein historischer Erfolg. Damit baut die Bundesregierung wichtige Brücken zwischen Unterstützerinnen und Unterstützern und jenen Staaten, die dem Vertrag kritisch gegenüberstehen. Deutschland – das bestätigt der Bericht – teilt das Ziel des Atomwaffenverbotsvertrags für eine Welt ohne Nuklearwaffen, und darauf müssen jetzt Handlungen folgen.

Ich möchte ganz ehrlich sagen – an die Bundesregierung gerichtet –, dass die gemeinsame Erklärung im Rahmen des G-7-Gipfels hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist, insbesondere hinter den Erwartungen derer, die von den Atomwaffeneinsätzen 1945 in Hiroshima betroffen waren. Dabei sind genau sie es, die Überlebenden von Atomwaffeneinsätzen und ‑tests, denen wir zuhören müssen, denen wir Gehör verschaffen müssen. Ihre Familien leiden seit Generationen unter den Folgen von Atomwaffen. Deutschland bekennt sich öffentlich zu den humanitären Grundsätzen des Atomwaffenverbotsvertrages. Diesem Bekenntnis muss die Bundesregierung jetzt nachkommen und sich in der Opferfürsorge verstärkt engagieren.

Die Welt befindet sich inmitten einer gefährlichen Aufrüstungsspirale. China, Iran, Nordkorea – sie alle rüsten auf. Die Ausgaben für Atomwaffen sind weltweit zum dritten Mal in Folge gestiegen. In Zeiten von Unsicherheit muss unsere Verpflichtung für Abrüstung und Rüstungskontrolle hochgehalten werden. Es gehört zu einer verantwortungsvollen Sicherheitspolitik, beides zu tun: die Freiheit und die Menschenrechte der Ukrainer/-innen in diesem völkerrechtswidrigen Krieg zu verteidigen und uns global für Abrüstung und Rüstungskontrolle einzusetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen diese Krise als Chance nutzen, um multilaterale Gespräche breiter aufzustellen. Wir müssen Staaten einbeziehen, die bisher außen vor gelassen wurden. Wir müssen neue Räume für Abrüstung öffnen, wenn alte nicht länger funktionieren. Soweit möglich, gilt es, Erzieltes zu bewahren. Auch innerhalb unserer Bündnisse wie der NATO und der EU müssen wir der Zukunftsvision einer atomwaffenfreien Welt und der Zukunftsvision von Abrüstung Taten folgen lassen. Nur eine Welt mit weniger Waffen ist eine sichere Welt für alle.

Jetzt ist die Zeit für Abrüstung – mehr denn je!

Vielen Dank.

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